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August 2017

Einen Apfelbaum schütteln

By Tune In No Comments

In der letzten KIRCHE KREATIV *, die vor ein paar Stunden in Basel stattfand, gab es keine Predigt. Dafür las der Schauspieler Adrian Furrer vom Theater Luzern den Philipperbrief. Dazwischen improvisierten fünf Musiker über den Text.
Einen grösseren Bibeltext in einem Zug zu lesen oder eben: zu hören, hat etwas für sich. Man erfährt, was Martin Luther meinte, wenn er sagte: “Ich lese die Bibel, wie ich meinen Apfelbaum ernte: Ich schüttle ihn, und was runterkommt und reif ist, das nehme ich.“ Allerdings ist anzumerken, dass der Theologe und geniale Bibelübersetzer Luther auch die genaue Lektüre und das sorgfältige Wortstudien empfahl. An einem anderen Ort schrieb er, man solle das Bibelwort reiben wie ein Kräutlein. Denn je mehr man es reibt, desto mehr duftet es.

Dieser Gottesdienst ohne Predigt war eindrücklich. Eigentlich ist ja ein solcher Paulusbrief eine Predigt in sich, wurden die Briefe doch den Gemeinden vorgelesen. – Ebenso verhält es sich natürlich mit anderen Bibeltexten.

Dazu drei weiterführende Gedanken:

1. Lesen wir ab und zu das Bibelwort laut (oder halblaut) vor uns hin. Langsam, nicht schnell. So, dass unser Inneres mitkommt. Der Theologe Wolfgang Bittner liest zum Beispiel in seinen Gottesdiensten die Bibeltexte bewusst sehr langsam, so dass man genau hinhören muss.

2. Suchen wir als Künstler Wege, wie wir das Bibelwort hörbar machen können. Es gibt ja eine riesige Tradition innerhalb der Musik-, Literatur- und Kunstgeschichte, die sich dem Bibelwort zuwendet und dieses auf grossartige Weise illustriert und weitergibt. Warum nicht Gottesdienste à la KIRCHE KREATIV veranstalten – gerade mit verschiedenartiger Kunst , die zum gelesenen Text passt (neben Text und Musik zeigten wir auch Bilder aus der Kunstgeschichte)? Solche Gottesdienste können Menschen ansprechen, die sonst nicht zur Kirche kommen.

3. Erwarten wir, dass das Bibelwort segensreich wirkt. In unseren Künstlergottesdiensten gibt es nach einem künstlerischen und einem Predigt-Teil immer einen „musikalisch begleiteten Gebets-Rundgang“ in der Kirche. Meine Frau setzt sich dort jeweils im Segnungsteam ein. Während der Textlesung bat sie Gott, ihr ein Wort aus dem Philipperbrief in Erinnerung zu rufen, das sie jemandem im Gebet würde weitergeben können. Sie „hörte“ den Vers: „Ich vermag alles durch den, der mich stark macht, Christus“ (Philipper 4,13). Bald darauf kam jemand zum Gebet und sagte: „Beten Sie einfach für mich. Ich möchte Ihnen nichts erzählen.“ So gab meine Frau diesen Vers weiter. Die Person begann sofort zu weinen und sagte darauf hin: „Erstaunlich! Das ist ja genau das, was ich jetzt brauche!“
Vertrauen wir beim Bibellesen darauf, dass Gott zu uns spricht oder uns ein Wort schenkt, das wir in der nächsten Zeit jemandem anderen weitergeben können. ·

Text: Beat Rink

* Die KIRCHE KREATIV ist ein öffentlicher Gottesdienst mit professionellen Künstlern, den Crescendo in verschiedenen Städten durchführt. Wir sind gerne bereit, entsprechende Tipps zu geben – eine Mail genügt an info@crescendo.org

WHY “CARMEN”? – WARUM “CARMEN”?

By Tune In No Comments

Für manche Christen ist es eine offene Frage: Kann man eine charakterlose oder gar böse Person auf der Bühne darstellen? Und wenn ja: Wie realistisch soll man diese Person spielen? Ich erinnere mich sogar an eine Musikerin, die allen Ernstes beschlossen hat, nie mehr ein Stück des „zu wenig christlichen“ Mozart aufzuführen. Der Grund dafür sind völlig falsche theologische Weichenstellungen. Umso wichtiger sind sorgfältige Überlegungen und Erfahrungsberichte, die korrigierend wirken – wie zum Beispiel der folgende Bericht der Sängerin Constance Fee*:

„In einer Lebenskrise fand ich zum Glauben, den ich über viele Jahre lang vehement abgelehnt hatte. Eine der ersten Rollen, die ich nach meiner Hinwendung zum Glauben singen sollte, war jene der Mercedes in „Carmen“.
Irgendwie hatte ich den Eindruck, ich solle auch die Figur der Carmen einstudieren. Dies war seltsam, denn erstens ist die Hauptfigur nicht über allen moralischen Zweifel erhaben. Zweitens gab es zwei andere Sängerinnen, die für die Rolle vorgesehen waren. Drittens hatte die Intendanz des Opernhauses gerade gewechselt und ich stand auf der Kündigungsliste. Wie üblich, wollte der neue Intendant seine eigenen Leute mitbringen. Nach meinem Engagement als Mercedes musste ich mich ohnehin nach einem anderen Opernhaus umsehen, und es war kaum wahrscheinlich, dass ich mir in der verbleibenden Zeit noch eine so grosse Rolle anvertraut würde.
Trotzdem empfand ich, dass ich mich in die Rolle der Carmen vertiefen sollte. Also beobachtete in den kommenden Proben sehr aufmerksam die Sängerinnen, die als Carmen auf der Bühne standen. Was mich schockierte, war, dass ich die Anweisungen und Korrekturen des Regisseurs regelmässig antizipieren konnte. Stand die Carmen zu lange an einem Tisch, dachte ich hinter dem Vorhang: „Jetzt muss sie aber schleunigst weggehen!“ – Und ein paar Sekunden später gab der Regisseur genau dieselbe Anweisung. Dies geschah viele Male und bestärkte mich darin, der Rolle der Carmen gewachsen zu sein.
Was dann geschah, war eigenartig: Beide Sängerinnen waren kurz nacheinander aus unterschiedlichen Gründen verhindert. Und prompt fragte mich der Regisseur fragte mich, ob ich die Carmen singen könne. Aber da die Kündigung bereits beschlossen war, sprach sich der Intendant vehement dagegen aus. Trotzdem liess mich der Regisseur vorsingen – und setzte sich schliesslich gegen den Intendanten durch. So stand ich als Carmen auf der Bühne. Dennoch war mir bei der Sache nicht ganz wohl. Wie gesagt, ist die Hauptfigur bekanntlich recht zweifelhaft. Dies verunsicherte mich als junge Christin. Ich fragte im Gebet, was Gott damit wolle und empfand, dass er sagte: „Du musst die Figur möglichst realistisch darzustellen. Das Stück zeigt auf, was mit einem Menschen geschehen kann, der ohne Gott lebt.“ So engagierte ich mich mit voller Energie für eine möglichst gute Aufführung dieser wundervollen Oper!“

* Constance Fee ist Dozentin des “Crescendo Sommerinstituts” und lehrt am Roberts Wesleyan College, NY (LINK zu ihrer Biografie). Sie hat bereits im TUNE IN Nr.86 von einer lebensverändernden Erfahrung mit Gott erzählt (LINK).

Text: Beat Rink